Im Gespräch mit: Paulina Fröhlich, Senior Fellow bei der Bertelsmann Stiftung im Programm „Demokratie und Zusammenhalt“
Frau Fröhlich, ist unsere Demokratie in Gefahr?
Ja, eindeutig. Demokratie ist nicht mehr selbstverständlich, weder in den Köpfen vieler Menschen noch als Ergebnis an den Wahlurnen.
Warum haben radikale Kräfte in so vielen Ländern Erfolg?
Radikale Populisten mobilisieren über die Emotionalisierung von realen Sorgen. Diese Sorgen können Preissteigerungen und Rente, Angst vor Krieg, allgemeiner Bedeutungsverlust oder Umweltkatastrophen sein. Teil ihrer Strategie ist es, immer anderen die Schuld zu geben – den bösen Eliten „da oben“ oder den bösen Migranten „da draußen“ – und sich als einzige Rettung zu präsentieren.
Demokrat*innen hingegen sprechen kaum emotional über Politik und, weil manch großes Problem zum Beispiel von Ungerechtigkeit oder Unsicherheit noch nicht restlos gelöst ist, wird ihnen vorgeworfen unfähig oder unwillig zu sein.
Was können Großdemos für Demokratie dem entgegensetzen?
Der größte Effekt der Demonstrationen zum Jahresbeginn 2024 war die Selbstvergewisserung, die angesichts einer langen Phase von Ohnmacht der Zivilgesellschaft wichtig war. Die Demos waren auch ein Zeichen an Betroffene von rechtsextremer Gewalt: Millionen von Deutschen von den Nordseeinseln bis hin zu den Alpen sagen: „Da stehe ich nicht hinter, das ist nicht meine Politik, nicht mein Land.“ Und sie waren ein Signal an die AfD und an Kräfte, die noch nicht klar verortet waren. Ich verstehe aber, dass manche enttäuscht sind, weil sie sich mehr versprochen haben, zum Beispiel, dass die Anzahl derer, die AfD wählen, sinkt. Aber das ist ein Riesenanspruch.
Was bringt es Positionen aufzugreifen, die Wähler*innen in der demokratischen Mitte vielleicht vermissen?
Gerade bei Themen mit so viel Mobilisationskraft wie Migration darf die Kompetenzvermutung in der Bevölkerung nicht bei einer radikalen Partei liegen. Daher muss darüber gesprochen werden, aber entscheidend ist wie.
Demokratische Parteien dürfen weder Sprachbilder noch Argumentationsmuster der AfD verwenden und müssen klar machen, warum diese problematisch sind. Das ist relativ einfach. Denn die AfD verwendet ein völkisch-ethnisches Menschenbild, das Menschen in unterschiedliche Wertigkeiten aufteilt.
Neben einer klaren Abgrenzung zu Antidemokratischem, wünsche ich mir jedoch auch – denn das gehört zur Demokratie – Streit darüber, wie restriktiv oder liberal unsere Migrationspolitik sein soll. Aber: Es gibt keinen Automatismus. Manche denken, man müsste nur Migration ansprechen und dann würde die AfD verschwinden. Das ist definitiv nicht so.
Wie kann Politik, wie aber auch jede*r einzelne von uns Demokratie schützen?
Die konservativen bis Mitte-LinksParteien sollten sich als Alliierte in der Frage der Demokratie verstehen, auch wenn sie im demokratischen Spektrum Konkurrenten sind. Während sie sich über diese gemeinsame Basis unklar sind, ziehen radikale Populisten vorbei mit Wahlplakaten, auf denen „Demokratie“ steht.
Jedes Individuum kann beitragen, indem man in Dialog mit Andersdenkenden geht. Das kann nervig, anstrengend und unschön sein. Aber wenn wir es ernst meinen mit der Demokratie, tragen wir alle die Verantwortung, nicht nur Politiker*innen.
Wir sollten uns schulen lassen: Wie führe ich ein kritisches Gespräch mit jemandem, der anders denkt? Wie halte ich nicht den Mund, wenn menschenverachtende Dinge gesagt werden, und schaffe es trotzdem, dass die Person sich nicht zurückgestoßen fühlt? Diesen Ansatz, den wir bei „Kleiner Fünf“ (Anm. d. Red.: eine ehrenamtliche Initiative für Demokratie) ‚radikale Höflichkeit ‘ nennen, finde ich enorm wichtig.
Funktioniert unsere Demokratie gut oder braucht sie Reformen?
Wir müssen Menschen ermöglichen im Alltag mehr zu erleben, was Demokratie ist. Das ist nicht immer der Bürgerrat, es kann auch mal ein Ehrenamt oder die Wahlhilfe sein. Demokratie kann auch nerven, aber wir müssen verstehen, was ihr Mehrwert ist. Es ist allerhöchste Eisenbahn für Reformen. Denn wie am Anfang unseres Gesprächs gesagt: Demokratie ist nicht mehr selbstverständlich.
Zur Person: Paulina Fröhlich
Paulina Fröhlich ist Senior Fellow bei der Bertelsmann Stiftung im Programm „Demokratie und Zusammenhalt“ und Gastrednerin bei der Landeskonferenz 2025 der AWO Bayern.