Datensicherer Spendenbereich
Aktuelles

„Depression ist nicht gleich Depression“

10. September 2025

„Depression ist nicht gleich Depression“

Menschen mit Behinderung, Seelische GesundheitBlogbeitrag

Im Gespräch mit: PD Dr. med. Michael Rentrop. Chefarzt für Psychose-Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen.

Oft ist in den Medien zu lesen, dass psychische Erkrankungen in der Bevölkerung zunähmen. Stimmt das?

Es scheint, als hätten während der Corona-Pandemie depressive Störungen bei jungen Leuten zugenommen. Von einer Zunahme aller psychischen Störungen kann nicht gesprochen werden. Zu beobachten ist, dass, wenn sich die Wissenschaft bestimmte Störungsbilder genauer anschaut, scheinbar die Diagnosezahlen stark nach oben gehen, beispielsweise bei den Autismus-Spektrums-Störungen und der Aufmerksamkeitsdefizit Hyperaktivitäts-Störung.

Faktisch waren aber immer genauso viele Menschen betroffen, die Störungen wurden halt nicht richtig erkannt. Aktuell steht ein Wechsel von der ICD-10 zur ICD-11 im Krankheitskatalog der WHO an. Mit dem neuen Katalog werden sich Zahlen und Krankheitsbilder verändern, weil in bestimmten Bereichen noch einmal genauer hingeschaut werden wird.

Können Sie ein Beispiel nennen, das der neue Katalog enthalten wird?

In der ICD-10 ist die posttraumatische Belastungsstörung enthalten, aber nicht die „Komplexe posttraumatische Belastungsstörung“, die dazukommen wird und mit der Zustandsbilder bezeichnet werden, die durch eine vielfach wiederholte, oft jahrelange Traumatisierung erzeugt werden.

Etwas, das etwa auf Menschen zutrifft, die körperliche, emotionale oder sexuelle Gewalt in der Kindheit erlebt haben. Wahrscheinlich wird man künftig relativ viele Patienten diagnostizieren, die bisher in anderen Kategorien sozusagen „untergegangen“ sind.

Welche Krankheitsbilder sind in der Bevölkerung besonders verbreitet und warum?

Am häufigsten kommen Angsterkrankungen vor, gefolgt von depressiven Störungsbildern. Bei den Angsterkrankungen werden Panikstörungen etwa von Phobien und von generalisierter Angst unterschieden. Substanzmissbrauch führt auch häufig zur Entwicklung von Angstsymptomen.

Depressionen wiederum sind über das gesamte psychiatrische Klassifikationssystem verteilt. Sie können organische Gründe haben wie bei Parkinson und Alzheimer, sie können in der Lebensgeschichte begründet sein oder es liegt eine schwere affektive Störung vor. Depressionen gibt es ebenfalls im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch. Depression ist also nicht gleich Depression.

In manchen Medienberichten wird nahegelegt, Menschen mit psychischen Erkrankungen seien potenzielle Gefährder. Wie ist ihre professionelle Einschätzung?

Man kann weder generell sagen, Menschen mit psychischen Erkrankungen sind völlig ungefährlich, noch sagen, das sind alles Gefährder. Der häufigste Zusammenhang von Aggressionen und psychischen Problemen gibt es bei den Suchterkrankungen.

Oder bei Menschen, die eine schizophrene Erkrankung haben, gerade wenn sie zusätzlich Suchtmittel nehmen, kann es aggressive Entgleisungen geben. Bei Patienten mit schizophrenen Psychosen hängt die Frage, ob jemand gefährlich ist oder nicht, davon ab, ob die Person behandelt wird oder nicht. Wenn die Symptome gut behandelt werden, dann ist die Gefahr vorüber.

Welche Verbesserungen sind in der sozialpsychiatrischen Versorgung erforderlich?

Menschen, die aus forensischen Kliniken entlassen werden, finden oft kein gutes Versorgungsumfeld. Da brauchen wir mehr Plätze, dasselbe gilt für schwer kranke Menschen, etwa mit einer Autismuserkrankung oder chronisch erkrankte Menschen, die zum Beispiel zusätzlich körperliche Probleme haben. Sie bleiben oft, weil es keine geeignete Versorgung gibt, lange Zeit im Krankenhaus. Aber eine Klinik dient der Akutversorgung und ist kein Platz zum Leben.

Insgesamt müssen die Strukturen modernisiert werden. Im Bereich Arbeit ist die Inklusion noch nicht so gut gelungen, dabei ist Arbeit aus psychiatrischer Sicht extrem wichtig, weil Menschen eine vernünftige Tagesstruktur brauchen. Ein Problem dabei ist auch die Bezahlung, die in den Werkstätten zu gering ist. Es müsste der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden, damit Menschen erleben, dass das, was sie machen, wertvoll ist.


Zur Person: PD Dr. med. Michael Rentrop

Er ist Chefarzt des Zentrums für Psychose-Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg/Inn. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Behandlung von Menschen mit Psychosen und schwer ausgeprägten Persönlichkeitsstörungen.