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Lösungsstrategien für den Fachkräftemangel

4. Juli 2024

Lösungsstrategien für den Fachkräftemangel

Alter und Pflege, Fachkräftemangel, Kinder und Jugend, Kita, Soziale BerufeBlogbeitrag

Interview mit Dr. Eike Windscheid, Arbeitssoziologe

Herr Dr. Windscheid, die drei Berufsfelder mit den größten Fachkräftelücken sind aktuell Sozialarbeit, Kinderbetreuung und Altenpflege. Warum?

Einerseits haben wir mehr Personalbedarf, vor allem durch die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen und den Ausbau der Kinderbetreuung. Andererseits verzeichnen wir eine große Abwanderung aus sozialen Berufen. Beides zusammen führt dazu, dass wir im Augenblick einen Personalnotstand wahrnehmen. Aber diese Situation ist nicht unumkehrbar. Denn es gibt gute Lösungsansätze.

Warum verlassen Beschäftigte soziale Berufe?

Es gibt unfreiwillige Abwanderung, etwa wegen einer langfristigen Erkrankung, und freiwillige Abwanderung, häufig aus Selbstschutz. Die seelischen, aber auch körperlichen Belastungen sind meist sehr hoch. Viele Pflegekräfte, Erzieher*innen und Sozialpädagog*innen schätzen ihren Beruf sehr, können ihn wegen Überlastung aber oft nicht so ausüben, wie sie es eigentlich möchten. 

Und wie sehen die angesprochenen Lösungsansätze aus?

In der Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ wurde gefragt, unter welchen Umständen Fachkräfte in den Beruf zurückkehren würden. Am häufigsten genannt: Mehr Zeit für eine gute Pflege durch mehr Personal. Das wirkt erstmal wie ein Teufelskreis, denn der Personalmangel ist ja das Problem, das wir beheben müssen. Wenn man aber genauer hinschaut, stimmt das nicht. Die Annahme, der Arbeitsmarkt wäre leergefegt, ist falsch. Wenn wir Belastungen reduzieren, auch mit Hilfe von Digitalisierung, für mehr Prävention und familien- und lebensphasengerechte Arbeitszeiten sorgen und besser bezahlen, kann es gelingen, Fachkräfte zurück in die Pflege zu holen. Vorsichtig gerechnet liegt das Potenzial bei rund 300.000, im Optimalfall sogar bei bis zu 600.000 Fachkräften. Das füllt nicht die ganze Lücke, aber es bringt viel Expertise in den Beruf, die schon da ist. Wir reden nicht von Menschen, die erstmal aufwändig ausgebildet oder integriert werden müssen, sondern die sofort helfen können. Und dann sind wir schnell in einer Situation, wo mehr Zeit für eine gute Pflege da ist. Man darf nicht sagen: Mehr Personal fordern geht nicht, weil wir keines haben. Doch! Genau an diesem Punkt können wir den Teufelskreis durchbrechen. Und das gilt nicht nur für die Pflege, sondern für alle sozialen Berufe.

Das klingt überraschend optimistisch.  

Dazu haben wir allen Grund. Die Lösungsideen sind da. Klar, wir können es schade finden, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Oder wir packen es an. Wir müssen mehr Zeit freischaufeln für die Arbeit mit Klient*innen, mit zu Pflegenden, mit Kindern, mit Ratsuchenden. Sich wirklich mit den Leuten beschäftigen zu können, ist den Mitarbeiter*innen wichtig. Wenn uns das gelingt, dann sind die Leute auch da.  

Die Lösungen liegen also auf der Hand. Wer muss denn aktiv werden?

Im Betrieb kann einiges an Belastungsprävention passieren. Darüber hinaus müssen wir breite Allianzen aufstellen. In Bremen funktioniert das zum Beispiel sehr gut. In der Pflege-Initiative gegen den Fachkräftemangel kommen auf Landesebene verschiedene Stellen zusammen. Wenn man sich darüber austauscht, was schon läuft, ergeben sich oft Synergieeffekte und man bewegt sich mehr gemeinsam in eine Richtung. Wenn jeder nur für sich agiert, werden wir das Problem nicht lösen. Und die Politik muss entschlossen handeln. Die Sozialpartner schaffen es nicht allein, sondern nur gemeinsam mit Kostenträgern und allen politischen Ebenen. Es muss möglich sein, zu einer nachhaltigen Finanzierung zu kommen. Oft geht es um eine Verteilung der Mittel. Hier muss was passieren. 

Ist der immer weiter verbreitete Wunsch nach Sinn im Job die Chance für soziale Berufe? Wenn ja, wie können wir sie am besten nutzen?

Ja, es ist eine Chance, aber wir müssen konsequent die Arbeitsbedingungen verbessern. Nicht nur in der Pflege, auch im Kitabereich und Sozialarbeit haben wir viel, häufig krankheitsbedingte Abwanderung. Das entfaltet eine fatale Symbolwirkung für Menschen, die sich beruflich orientieren. Aber daran kann man ja etwas ändern und dann sind wir wieder bei unseren Lösungsstrategien.

Vielen Dank für das Gespräch!


Dr. Eike Windscheid
Der Arbeitssoziologe leitet in der Abteilung Forschungsförderung der Hans Böckler Stiftung das Referat Wohlfahrtsstaat und Institutionen der Sozialen Marktwirtschaft.
Mehr Infos: https://www.boeckler.de/de/personensuche-42927-dr-eike-windscheid-38296.htm

 

Fragen: Christa Landsberger