Foto: Tanja Schnitzler
Judith Rahner, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats, im Interview
Frau Rahner, sind Rechtsextreme automatisch gegen Frauenrechte?
Nicht alle Antifeminist*innen sind Rechtsextreme, aber alle Rechtsextremen sind Antifeminist*innen. Auf diese Formel würde ich es bringen. Fundament ist ein Familienbild mit klaren Rollen für Frau und Mann. Die Frau hat Kinder zu erziehen als „Dienst am Volk“. Auch Frauen teilen diese Vorstellung. Wir denken vielleicht: „Wie können Frauen so was wollen?“ Vergessen wird oft die Strategie dahinter: Mutterschaft als Aufwertung der Frauenrolle. Antifeminismus liegt in der DNA von Rechtsextremismus.
Inwiefern nutzt die extreme Rechte Antifeminismus strategisch?
Es ist nicht nur strategisch. Sie meinen es genauso, wie sie es sagen. Aber bestimmte Themen bewegen viele Menschen, wie Kindeswohl. „Todesstrafe für Kinderschänder“ war eine NPD-Kampagne, auf die einige hereingefallen sind. Aktuell ist es – übrigens weltweit – vor allem Abtreibung. Diese Themen sind Brücken, weil sie in konservativen Kreisen bis hin zur bürgerlichen Mitte verfangen. Leider wird oft nicht erkannt, welche Gefahr dahintersteckt.
Im kommenden Jahr sind Bundestagswahlen. Wie würde sich eine starke AfD auf Frauenrechte auswirken?
Es wird zwar noch keine Koalition mit der AfD geben. Wenn sie wie in Thüringen ein Drittel der Mandate erhält, kann sie aber, beispielsweise bei Haushaltsfragen, mehr Einfluss nehmen. Mittel könnten reduziert oder gestrichen werden. Es gibt nicht den großen Knall: Wir schaffen die Frauenrechte ab. Sondern man trocknet Angebote wie Frauenhäuser oder Schwangerschaftskonfliktberatung aus. Ich mache mir Sorgen, dass es der AfD gelingt, andere Parteien in der Debatte über Gleichstellung vor sich herzutreiben. Problematisch sind nicht nur Konservative, die Positionen übernehmen, sondern auch progressive Kräfte, die sich scheuen, das Wort Feminismus überhaupt noch in den Mund zu nehmen. Das ist ein Gebräu, das für Gleichstellung Gift ist.
Hat sich die Situation von Frauen in Ländern mit extrem Rechten in der Regierung verschlechtert?
Ja, in Polen wurde das Recht auf Abtreibung abgeschafft. In vielen US-Bundesstaaten gibt es keine Versorgung mehr für Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen möchten. Giorgia Meloni hat in Italien das Gleichstellungsministerium umgewandelt in eines für Familien und Geburtenrate und das Budget für Gewaltprävention um 70 Prozent gekürzt. Das ist nicht ohne, was da passiert. Wir können das nicht eins zu eins übertragen. Aber wir können lernen: Wenn rechtsextreme Kräfte ans Ruder kommen, geht das für Frauen nie gut aus.
Erfahren Frauen heute mehr Hass als vielleicht noch vor zehn Jahren?
In Gegenden, wo die AfD stark ist, ist das Leben für migrantische Frauen, für linke Frauen, für Journalistinnen sicher kein Spaß mehr. Die Bedrohungslagen haben definitiv zugenommen. Das habe ich am eigenen Leib erfahren. Wer sich zu feministischen Themen äußert, muss mit einem rechten Shitstorm rechnen. Der Hass ist sehr persönlich, es geht ums Aussehen, um Kompetenz bis hin zu Aussagen, die unter die Gürtellinie gehen. Das macht was mit einem als Mensch. Verständlicherweise sagen einige: „Ich setz mich dem nicht mehr aus.“ Frauen verschwinden aus der Öffentlichkeit und mit ihnen wichtige Themen und Perspektiven.
Wie kann jede*r von uns für Frauenrechte eintreten?
Wenn sich in der Familie über eine Feministin mokiert wird, einfach mal sagen: „Man muss ja nicht alle Forderungen teilen, aber das geht zu weit.“ Wenn online über Frauen hergefallen wird, nicht schweigen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schön es ist, wenn Dich unter 1000 Hasskommentaren nur eine einzige nette Nachricht erreicht. Man merkt: „Ich bin nicht allein.“ Wir sollten uns gegenseitig viel mehr loben, uns viel stärker solidarisieren. Also mal kommentieren: „Hey, Du machst einen tollen Job.“ Das Gegenteil von Shitstorm ist Candystorm. Und der ist so einfach.
Zur Person: Judith Rahner
Judith Rahner ist seit August 2024 Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats. Zuvor hat sie die „Fachstelle für Gender, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“ bei der Amadeu Antonio Stiftung geleitet und dort unter anderem die Meldestelle Antifeminismus initiiert.